ANIMA musica
Die Gruppe ANIMA konnte in den letzten 30 Jahren
eine solide und vielfach prämierte Karriere in Brasilien und im
Ausland aufbauen, die der Verbreitung und Bekanntmachung der
brasilianischen populären Musikwelt diente. Insgesamt entstanden
sieben CDs und auktoriale Musiktheaterproduktionen, zwei Anthologien
und eine DVD. Für diese Arbeit wurde ANIMA mit Preisen sowohl im
Bereich klassischer Kammermusik, als auch im Bereich der
Popularmusik ausgezeichnet. Neben Konzerten und Bühnenproduktionen,
veranstaltet ANIMA ferner auch Workshops und Kurse, die ihre
kollektive musikalische Kreationsdynamik und die Wurzeln der
brasilianischen Musik veranschaulichen. ANIMA (www.animamusica.art.br) entstand in Brasilien vor dreißig Jahren als Ergebnis von Überlegungen über die Interpretation von Alter Musik und die brasilianische musikalische Überlieferung. Ausgehend aus dem Einsatz der brasilianischen rabeca [Rebec], die ihren Ursprung in der ländlichen Tradition verschiedener Regionen Brasiliens hat, erweiterte ANIMA den Bereich ihrer musikalisch-historischen Interpretation und ihres Repertoires, indem dem historischen europäischen Instrumentarium andere Stimmen und Sprachen hinzugefügt wurden, wie die Viola de Arame, die brasilianische zehnsaitige Gitarre, Schlaginstrumente aus Brasilien, Afrika und dem Vorderen Orient sowie Flöten der brasilianischen Eingeborenen. ANIMA zeigt sich auf Tourneen auf Bühnen wie denen des Kennedy Centre in Washington DC sowie anderer renommierter Theaterhäuser und Festivals in ganz Brasilien, Lateinamerika, USA und Kanada, Italien, Deutschland, Luxemburg, Österreich und Frankreich, bis zu Vorstellungen und Workshops in kleinen brasilianischen Gemeinden: Tage alter Musik Regensburg; Alte Musik Feldkirchen – Internationales Pfingstfestival, Österreich; Rencontres Musicales de la Vallée de L´Alzette, Luxembourg; Festival Alter Musik in Thüringen, Auerstedt; Labeaume en Musiques, Labeaume, Ardèche; 6e. Festival des Cordes Sensibles, Festival de la musique ancienne en Cévennes, St. Ambroix; Festival de Música Barroca de Chiquitos, Bolívia; Festival Internacional de Inverno de Campos do Jordão; 24º Festival Internacional de Música Colonial Brasileira e Música Antiga, Juiz de Fora; VII Festival Virtuosi Brasil, Recife; Festival de Música Barroca de Alcântara, Maranhão; Theatro Municipal de São Paulo, u.a.m.
ANIMA
erhielt inzwischen die höchsten Kunstauszeichnungen in Brasilien,
als bestes Kammermusikensemble des Landes: Prêmio Funarte
(Ministério da Cultura) de Música Brasileira,
Prêmio APCA (Associação Paulista dos Críticos de Arte)
[Preis des Verbandes der Kunstkritiker des Staates São Paulo] und
Vº Prêmio Carlos Gomes do Estado de São Paulo
[V. Carlos-Gomes-Preis des Staates São Paulo].
Die Aufführungen des Ensembles ANIMA sind das
Ergebnis intensiver Forschungs- und Interpretationsarbeit, ausgehend
aus der Musik ungebildeter Gemeinschaften, die in großer Entfernung
der Großstädte Brasiliens leben, sowie aus der Musik des
Mittelalters und der Renaissance Europas. ANIMA folgt auf der Bühne
einem musikalischen Leitfaden, in dem sich eine nichtlineare Zeit
bemerkbar macht, und versteht den Augenblick der Darstellung und die
Bühne als raumzeitlich ritualisierte Elemente. Das europäische
Mittelalter und die europäische Renaissance sind in der
brasilianischen, nichtstädtischen musikalischen Tradition präsent,
und zwar aktualisiert über von den Interpreten selbst geschaffenen
musikalischen Arrangements. Das Repertoire baut sich auf und fädelt
sich ein ausgehend aus einer zentralen Thematik, über eine
räumlich-zeitlich-instrumentale Schnittstelle, und zwar durch den
Einsatz einer kammeristisch/szenischen Sprache, in der ein ständiger
Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart,
Volksmusik und Kunstmusik präsent ist.
ANIMA setzt sich aktuell aus folgenden Musikern
zusammen: Silvia Ricardino – Troubadour-Harfe, Forschung und
Arrangements; Paulo Dias – Perkussion, Orgelportativ,
Forschung und Arrangements; Hugo Pieri – Gesang, Forschung
und Arrangements; Gisela Nogueira – Viola de Arame, Forschung
und Arrangements; Luiz Fiaminghi – brasilianische Rabeca,
indigene brasilianische Flöten, Forschung, Arrangements und
Produktion; und Valeria Bittar – historische Blockflöten,
indigene brasilianische Flöten, Forschung, Arrangements,
Geschäftsführung und Produktion; sowie aus den Gästen Ogã Leandro
Perez (Gesang und afro-brasilianische Perkussion – zu Gast in
der Produktion MAR ANTERIOR); und Marlui Miranda und
Cecilia Arellano (Gesang – zu Gast in der Produktion
ENCANTARIA).
Für die dramaturgische Konzeption und
Realisierung ihrer Bühnenprogramme verlässt sich ANIMA auf
anerkannte brasilianische Regisseure, unter anderen auf Maria Taís
und Márcio Medina (Companhia de Teatro Balangan), Lu Favoretto und
Cláudia Shapira (Oito Nova Dança), Raquel Hirson und Jesser de Souza
(Luma) sowie Raquel Araújo Fuser (EAD USP).
Aus diesen Fragmenten lässt ANIMA, in einer
kritischen Lesart, durch ihre Arrangements die timeline-patterns
der Gesänge der Orixás der Candomblé-Rituale entspringen, wie sie
von dem brasilianischen Komponisten Camargo Guarnieri im Jahre 1937
in Salvador aufgezeichnet wurden. Die Arrangements von MAR ANTERIOR
entstanden, wie alle Produktionen von ANIMA, in kollektiver Arbeit
der Gruppenmitglieder, wie auch durch Gastkomponisten. In ihnen
werden die Polyrhythmik und Polymetrik der Trommeln der Orixás mit
den europäischen mittelalterlichen Tänzen und Gesängen verwoben,
wodurch die saudade nicht zu einem Mythos wird, welcher
exklusiv dem portugiesischen Kolonisator zuzueignen ist, aber
stattdessen zu einem Gefühl, welches von den großen Schifffahrten
und von der Diaspora generiert wird, in einem Prozess von forcierten
oder auch freiwilligen Trennungen, die ihrerseits Teil des
expansionistischen, kolonialistischen und bekehrenden
gegenreformatorischen Projektes der katholischen iberischen Länder
war.
Wie in einem Palimpsest
[Palimpsest (aus dem griechischen
παλίμψηστος,
“was abgekratzt wird, um es neu zu beschriften“:
πάλιν
“wieder” und
ψάω, “kratzen,
raspeln“)
bezeichnet ein Stück
Pergament oder Papyrus, aus dem eine Schrift entfernt wurde, um es
neu zu verwenden. Diese Praxis wurde häufig im Mittelalter –
insbesondere vom 7. bis ins 9. Jahrhundert – auf Grund der hohen
Kosten des Pergaments eingesetzt. Die Entfernung der Schrift geschah
mittels Waschen oder später auch Schleifen mit Bimsstein.]
ermöglichen es die musikalischen Arrangements, dass aus den
mittelalterlichen Manuskripten die Klänge der
Abwesenheit
derjeniger Völker entspringen, die der Brutalität der Sklaverei und
des Kolonialismus ausgeliefert waren und heute noch als Bürger
zweiter Klasse in der brasilianischen Gesellschaft behandelt werden.
Abwesenheit
kann somit als der Verlust des Menschseins selbst verstanden werden.
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